Gefangen in der Spontaneität

Spontaneität ist ein Ideal. Wird sie falsch verstanden, kann sie Menschen jedoch schnell unbewusst in Egoisten verwandeln. 

In alltäglichen Gesprächen mogelt sich immer häufiger ein „lass uns das spontan entscheiden“ zwischen eine Zu- oder Absage wenn sich zwei Menschen darüber unterhalten, ob ein Treffen zwischen ihnen statt finden kann, das meist vom Befragten ausgeht. 
Beim Fragenden wiederum folgt eine ungefähre Planung des eigenen Tages - der verbleibenden Zeit, bis eine ordentliche Macht das Licht anknipst und „Schluss mit lustig“ ruft. 



Mit ausreichend Kommunikation könnte eine schnelle Klärung erzeugt werden. 
Aus Furcht durch die „falschen" Worte verklemmt zu wirken, oder aufdringlich zu sein, findet diese aber selten in  in ihrer nachhaltigsten Form - dem persönlichen Gesprächs -  statt. Es wirkt attraktiv durchgehend beschäftigt zu sein, wiederum seit einiger Zeit geläufig und angesagt "mal Zeit für sich zu haben" und dennoch beruhigt es ungemein „Zusagen“ bei Veranstaltungen der nächsten Tage zu klicken. Die attraktive Selbstzerstörung des Überarbeiteten und Rastlosen wird ebenso proklamiert wie einer, der in aller Ruhe meditiert. Bei beiden ist das Gegenteil keine Option - sondern ein Feind, ein Schockbild. 
Wofür also entscheiden? 


Es scheint alles zu viel, zu laut, zu hektisch - aber ebenso peinlich das zuzugeben.
Oft wird geglaubt mit Formulierungen wie „Ich bin da eher spontan“; „Lass uns spontan sehen“ auch WIRKLICH spontan und damit frei zu sein. 
Dabei handelt es sich aber um Scheinspontanität - ein Euphemismus für:  „Ich halte mir ein Fenster offen“ oder „Ich will abwarten, was passiert - ob etwas passiert, dass mich glücklicher machen würde, als meine kostbare Zeit für dich zu blocken“. 

Die Formulierung "das können wir ja spontan entscheiden", ist durchaus angemessen, wenn sich bei einem Kinobesuch zwischen Popcorn oder Nicht-Popcorn entschieden werden soll, eventuell - abhängig vom Verhältnis des gemeinsamen Besuchs- auch bei der Filmwahl. Soll sich aber spontan entschieden werden OB man sich überhaupt trifft, handelt einer der beiden Parteien egoistisch, zumindest auf längere Sicht. 


Denn vor das persönliche Nicht-entscheiden, nicht-benennen, nicht-festlegen-wollen stets und ständig den Riegel der "Spontaneität" zu schieben ist nicht nur eine Zweckentfremdung des Wortes, es führt auch zu Egozentrismus. 
Nach Erich Fromm ist das Gegenteil von Spontaneität nicht etwa Zwang. Spontaneität auch keine Laissez Fair Manier, sondern vielmehr mit dem plötzlichen Erleben von Glück gleichzusetzen.  
„Ganz gleich, ob wir das frische, spontane Erlebnis einer Landschaft haben, ob uns eine Erkenntnis als Ergebnis unseres Nachdenkens dämmert, ob wir ein sinnliches Vergnügen erleben, das nicht stereotyper Art ist, oder ob die Liebe zu einem anderen Menschen plötzlich in uns aufquillt – in solchen Augenblicken wissen wir alle, was ein spontanes Erlebnis ist, und wir haben vielleicht eine Ahnung davon, was das menschliche Leben sein könnte, wenn solche Erfahrungen nicht so selten wären und so wenig gepflegt würden.“ (Erich Fromm (2000) Authentisch leben, S. 59 ff.) 
Genau das ist in seiner tiefen Bedeutung eine wunderschöne Form des Sich-Hingebens, des Im-Moment-seins - der Freiheit. Ein erstrebenswertes Ziel, das Jedem zu wünschen ist. Nur ist es schwer umsetzbar. Der Schlaf, die Arbeit, selbst Nah - und Fernverkehr, der den potenziellen Spontanen zwischen den festen Zeiten transportiert sind meist genauestens geplant. Was bleibt sind Zwischenmomente, vielleicht sogar Pausen, die es ebenfalls gründlich zu portionieren gilt. Wer nicht plant, hinkt hinterher - und das will doch keiner - so scheint die unausgesprochene Geheimformel, die zwar gründlich verschwiegen und dennoch voll ausgenutzt wird. 

Das Unbehagen über die Nicht-Spontaneität führt zu einer Kompensation im SICH VORNEHMEN SPONTANER ZU SEIN. 
Das ist lobenswert - wenn es richtig verstanden wird. Oft wird darunter aber die Möglichkeit verstanden, sich immer wieder Fenster des persönlichen Wohlbefindens offen zu halten, durch die in zwischenmenschlichen Situationen ein und ausgestiegen werden kann. 


Da die Spontaneität eine Tochter der Freiheit ist, liegen ganz individuelle und subjektive Beschreibungen für "spontan sein" vor, da für eine Einschätzung ob jemand spontan handelt, Beziehungsintensität und -grad des Gegenübers gekannt werden muss. Im Zweifel wird der Aussicht auf ein spontanes Treffen mit folgender Absage eher nachgesehen, als die kurzfristige Bitte um Verschiebung.  Viele veranlasst das dazu Spontaneität, vielmehr die Aussicht darauf, diese als Vermeidungsstrategie zu verwenden.

Es besteht die Sorge, einer Sache zuzusagen, von dem man nachher meinen würde, es bereuen zu müssen. Die Zeit also: VERSCHWENDET-  im schlimmsten Fall sogar Langeweile und Leere gefühlt zu haben. Die schnell vorgeschobene Scheinspontaneität wirkt dahingehend präventiv. 

Aus der Angst etwas zu Verpassen, dem gleichzeitigen Wunsch alles wahrzunehmen und sich um andere zu kümmern, dem daraus entstehenden Argwohn, ja niemals Zeit für sich zu haben - wird die Spontaneität schon zum Trotzverhalten "nö- ich entscheid das lieber spontan". 
Vermeidung, Trotz, Ratlosigkeit  in einem locker leicht zusammengestotterten Euphemismusmantel. 





Der Gegenüber kann das nicht verstehen, entwickelt ebenfalls Groll. Menschen, die von geliebten und/oder gemochten Menschen immer auf das "Spontaneitätsfeld" geschoben werden, weil es sich ebenfalls nicht schickt etwas gegen die so lobenswerte Spontaneität zu sagen, fühlen sich durch das dadurch verstärkte Unbehagen noch weiter zurück gesetzt. 

Doch es kann dagegen gewirkt werden, ohne auf Spontaneität - ja sogar ohne auf die Scheinspontaneität  zu verzichten. Wird nämlich klar kommuniziert, wieso es schwer fällt, im Augenblick eine Entscheidung zu treffen, fühlt der Gegenüber sich nicht zurück gesetzt sondern vielmehr noch mit persönlichen Informationen bereichert. Es vermittelt Nähe, jemandem zu Liebe, das eigene Unbehagen mit Ehrlichkeit offen zu legen. Natürlich muss einem flüchtigen Date, nicht von höchstpersönlichen Ängsten, oder ganz privaten Zweifeln, Sorgen, Gebrechen oder Gedanken erzählt werden - der Wichtigkeitsgrad des Gegenübers ist entscheidend. 


Denn am Ende führt eine Nicht-Kommunikation und verletzende Scheinspontaneität mit genau diesem zur Frage, ob irgendwann ein Bruch riskiert werden soll. Fallen einem keine Argumente für eine Aufrechterhaltung der zu pflegen geglaubten Beziehung ein, gibt der Hang zur Scheinspontaneität auch eine Klarheit.

Es sollte sich nicht generell für die Zwangstruktur entschieden werden. Damit hätte die Leistungsmaschinerie und die Überwachung, mit mitgezerrter Schnelllebigkeit, gewonnen.
Anders herum darf die einzige Präferenz auch nicht auf die Scheinspontanität gelegt werden - denn sonst bürgert sich das Gegenteil von Liebe ein und wird irgendwann in den Köpfen der Mehrheit sesshaft - die Gleichgültigkeit. 


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