Die Angst Neues auszuprobieren

Es ist kalt und ein Graufilter legt sich über die ersten Tage des Jahres, bei dem man – wird er einmal durchbrochen – ganz erschrocken hochschreckt, wenn Sonnenstrahlen den ebenso dunklen Boden der Stadt berühren. Worte des Schwermuts und der Tristesse gehen leichter über die Lippen und das Wort „Winterdepression“ wird in Gesprächen nicht einmal mehr kritisch hinterfragt. Dabei liefert der Januar mit seiner unschuldigen Datumsschreibweise so viel Möglichkeiten!

Von Überall schallt es nach Neuerungen – als Garant für Glückseligkeit. 

Auf zahlreichen Lifestyle-Blogs (in diesem Beispiel: https://vanilla-mind.de/durchbrich-deine-routinen/) , werden To-Do Listen aufgeführt, die Menschen dazu ermutigen sollen, endlich einer neuen Aktivität nachzugehen (#1 in der Liste: „Probiere ein neues Hobby aus“) um glücklicher zu werden. 

Solche Ratschläge scheinen nicht an den Haaren herbei gezogen, schließlich ploppt nicht selten, in den unerwartetsten Momenten, die eine oder andere waghalsige – schon fast romantische Idee hervor. So kann nach einem Filmabend, bei dem „School of Rock“ gezeigt wurde, schnell die fixe Idee stehen: endlich Gitarre spielen, Konzerte geben, Songs komponieren – das wär’s doch!  Das Beispiel ist austauschbar und die Blog-Ratschläge klingen plausibel: Etwas zu entdecken und auszuprobieren macht schließlich Spaß!


Norbert Hähnel gab sich lange Zeit als „der wahre Heino“ aus, 
flog zwar auf – hatte aber eine aufregende Zeit
 – auch eine Form „sich auszuprobieren“ (Quelle: WH)

Leider scheint es nicht so, als würde die Mehrheit der Gesellschaft wirklich Lust darauf haben. Laut einer Umfrage von Forsa im Auftrag der DAK-Gesundheit (https://de.statista.com/infografik/16460/gute-vorsaetze/) von November 2018, waren die meist formulierten Vorsätze für das Jahr 2019 der Vermeidung (Stressvermeidung 62 %, Weniger Computer und Handy 25 %)  und/oder dem Verzicht (Sparsamer sein: 32%, Aufhören zu Rauchen: 11%)  zuzuordnen. Die Veränderung oder der Drang etwas Neues auszuprobieren kam im Ranking gar nicht vor. 

Es scheint so als bestehe der Trend eher darin möglichst wenig zu unternehmen, mehr zu verzichten als sich auch noch neue Aktivitäten aufzuladen. Neue Erfahrungen zu vermeiden aus Furcht etwas falsch zu machen ist, bei einem gegenwärtigen Überangebot an Möglichkeiten und Alternativen eigentlich nicht mehr zeitgemäß. Im Zeitalter von unzähligen Blogs, Podcasts, YouTube Tutorials und Start Ups ist es auch schon lange nicht mehr ungewöhnlich „mal etwas völlig neues zu machen“. Wo liegt also das Problem?

Zu denken, die Menschen wären wirklich träger geworden ist zu einfach – vielmehr ist von einem größeren Problem auszugehen: Angst. 

Einer Angst, die aus dem Wissen entsteht, Wissen, dass egal was ausprobiert wird, von einem Anderen ebenso schnell und ähnlich nachgemacht und vor allem bewertet werden kann. Sie ist eine Nebenwirkung des Zeitalters der sozialen Netzwerke, die das Neulernen zwar theoretisch schnell möglich macht, aber ebenso schnell auch das Scheitern oder die Gefahr Bloß gestellt zu werden. 

Durch die Digitalisierung steigt  auch die Dichte der Bewertungsmöglichkeiten, sei es durch Kommentare, Likes oder Online-Rezensionen. Dies bietet neben dem Komfort der schnellen Informationsgewinnung über die erbrachte Leistung der jeweils anderen Person, auch die Furcht sich beim Alleine-Ausprobieren lächerlich zu machen, sobald jemand vom möglichen Scheitern Wind bekommt, da man vermutlich von vornherein nicht über genügend Kenntnisse verfügt. Es ist nämlich nicht der gesunde Selbstschutz der uns davor bewahrt neuen Erfahrungen tendenziell aus dem Weg zu gehen, sondern vielmehr die zwischenmenschliche und social-media Überforderung, die blitzschnelle Bewertung und eine latente Paranoia: „was denkt da wohl irgendwer über mein neues irgendetwas?“ 

Die Lösung scheint klar : Niemals das Risiko der Bewertung eingehen. Eine, Interesse – ja ein Hobby „nur für sich“ ausüben, was soll da schon schief gehen? Für den Leidenschaftlichen ist das Wort „Hobby“ schon ein Affront an sich. Man ist ja nicht wie die graue Masse, man mache es ERNSTHAFT. Andererseits ist das schnell selbst geklebte Etikett „Hobby“ der ultimative Freibrief der „Do-It-Your-Way“ Handhabe, da die Ansprüche hier nie ganz klar definiert werden, man sich also für nichts rechtfertigen muss,  anders als in einer Team-  und Mannschaftsbetätigung oder in der Professionalität. Dort setzen nämlich andere Meinungen, Leistungen oder Geld die Maßstäbe. 

Wer also mittelfristig glücklich werden will und sich dazu noch gerne als Gitarrist einer Punk-Band sehen will, sollte hin und wieder allein im Keller ein paar wilde Konzerte geben und einen fiktiven Auftritt-Kalender führen, Interviewstatements vor sich hin brummeln und dann in geliebter Gesellschaft sein neues Glück feiern, um das man möglicherweise nur selber weiß. Man unternimmt dann etwas nur und zwar sehr intensiv „für sich“. Ob das die Gefahr der Paranoia mindert, sei dahingestellt – die außenstehende Bewertung bleibt jedoch aus und wer weiß, was aus der erwarteten Glückseligkeit wird. Rock on! 



Aron Boks 05.01.20 / Mein Buch „Luft nach Unten“: https://www.amazon.de/Luft-nach-unten-Magersucht-zusammenkam/dp/3862657779 oder im Buchhandel des Vertrauens.



Ausprobieren - Kaffee in Glühweinherzentassen
aus Wien in Berlin - funky!

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