Wenn Traurige trauern MÜSSEN

Menschen, die mit zäher Traurigkeit oder einer Krise kämpfen, bestreiten einen täglichen Kampf, dessen Fronten sich einen steten Schusswechsel liefern und denkbar langsam verschoben werden.

Eine Selbstreflexion findet noch gar nicht statt, weil das derzeitige Selbst nicht gemocht wird und das Damalige so weit weg scheint, dass es schon fast abstrakt wirkt. 

Das Gegenwärtige soll eigentlich nur still, ruhig - ja auf einen nüchternen Ausgangspunkt gebracht werden. Dann „kann es weitergehen.“ 
Selbstfürsorge, ein Trend - dessen Ausführung in richtiger Dosis essentiell ist und derzeit zum Populärwort geworden ist wird ja gewünscht, scheint aber noch in weiter Ferne, da dafür erst einmal wieder am normalen Leben teil genommen werden muss ohne - Angst zu haben, in Panik zu geraten, sich selbst zu schädigen oder schmerzhaft zu grübeln. 



(von links nach rechts): Was passiert mit mir? Was ist los? Erzähl mal 


Ein nicht unerheblicher Teil des Kampfes wird auch für das Umfeld bestritten, wenn einem nicht einfällt wozu man sich ändern soll - die Krankheit, die Verstimmung oder die düstren Gedanken aus der Welt schaffen soll - denkt man an Menschen, denen man so begegnen will wie in früher erlebten und damals besseren Tagen. 
Dann der Totalschock und der geliebte Mensch stirbt.
„X ist gestorben...“
Der erlernte mitfühlende Tonfall am Telefon, der wie eine Frage klingt - ob das in Ordnung wäre, dass X jetzt eben tot ist. Was albern ist - man wird vor vollendete Tatsachen gestellt und natürlich ist nichts in Ordnung. 
Selten hat der Übermittelnde Freude daran, weswegen der, bei persönlicher Rekonstruktion Aggressionen auslösende, Tonfall nur ein Schutzmechanismus ist. 
Die Grundsituation ist für alle, neben dem Erfahren eines Todes, also komplett am Boden.

Darauf lässt sich doch aufbauen - denkt man - denn von 0 gibt es im rationalen irdischen ja nur noch Steigerung. Nicht mit der Trauertirade, die sich hinterrücks aktiviert hat.  Für eine tiefe Traurigkeit ist „Unter Null“ Standard und für die fundamentale Traurigkeit ist der 0 Punkt die Grundvoraussetzung. 

Später ist die ein angestrebtes Ziel, sowieso - aber momentan wabert das Wohlbefinden in einem Bereich, in dem es sich selber lächerlich fühlt, von WOHLbefinden zu sprechen. 
Die ersten zwei Trauerphasen nach dem Tod eines geliebten Menschen äußern sich üblicherweise durch Schock in der allerersten - das nicht fassen können - und erst dann, in der zweiten Phase, brechen für gewöhnlich Emotionen auf. Beim Traurigen, Verstimmten und/oder Kranken verstecken sich die puren und echten Gefühle, ohnehin tief im inneren seit langer Zeit und äußern sich nur als Klumpen zäher Traurigkeit, in der alle möglichen Gefühle zusammengeknüllt liegen. Gerne würden wahre Momente - ja gerne auch Verlusttrauer - pur geteilt werden - mit eben jenen Vertrauten und Geliebten, so wie früher. 
Und nun st ein Mensch, für den es sich zu kämpfen gelohnt hat, gestorben. 
 Ein bisschen Ironie des Schicksals in die sich nicht zu sehr hinein gedacht werden darf um nicht dysfunktional zu handeln. 

Schnell lassen sich Verschwörungen schaffen - „Das sollte passieren“ um „mir zu zeigen, wie sinnlos meine Bemühungen sind“. Gefährliches Gedankenkreisen wird aktiviert. Grübeleinheiten - die altbekannten Monster. 

Jetzt also Trauer-Feier!

„Trauer - Feier“
Etwas Absurdes an sich, dessen Absurdität schon so ausgelutscht ist, dass man mit seinem Groll alleine bleiben muss um sich nicht lächerlich zu machen.
In der Trauer kann auch Feier stecken - JA - HA!
Aber selber ist man ohnehin schon traurig und jetzt trifft einen die kollektive Trauer. Die Paranoia setzt ein - jeder schaut auf mich. Jeder erwartet IRGENDETWAS von mir. Ja was eigentlich? Und warum - weil jeder weiß, dass ich sowieso geschwächt bin. 
Das selbst sonst „stabile“ Menschen ähnlichen Erwartungsdruck auf intimen Trauerevents verspüren, wird fast immer ausgeblendet. Aus Sorge, Vorsicht oder Angst. 

Sich in ausgewählter Gesellschaft aber den Zustand der gemeinsamen Hilf - und/oder Ratlosigkeit klar zu machen, kann helfen!


Neue Perspektive: Sich gemeinsam über das Unbehagen auslassen können

Wichtig ist es sich einzugestehen, dass Traurige in diesem Fall trauern können, wie andere auch. 
In einer absurden Weise kann die völlig natürliche Form der Trauer (ob in Gemeinschaft oder nicht) entlastend wirken. 
Der Tod der Anderen ist keine Schikane und auch keine Belastungsprobe der eigenen verletzten Persönlichkeit.
Es ist in gewisser Maßen ein Teil eines Selbst, der sich verändert oder vergeht, an den sich aber erinnert werden kann. Das ist ein Privileg. 

Und genau das kann ein Trost sein. 


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